Infotafel Hildegardweg am Kloster Eibingen
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Ich habe es getan: In 10 Tagen bin ich über 150 km auf dem Hildegard von Bingen Pilgerweg gelaufen. Vor allem die extrem hohen Temperaturen haben mir dabei gut zugesetzt. Die größte Herausforderung war allerdings den Weg alleine zu gehen. Dazu habe ich mich bewusst entschieden, denn ich wusste, dass diese Erfahrung wichtig für mich ist. Und ich bin mir sicher, dass ich die meisten meiner Erkenntnisse in Gesellschaft nicht gewonnen hätte.

Mir geht es darum, die spirituelle Seite des Weges aufzuzeigen. Denn ich bin nicht aus sportlichen Gründen losmarschiert. Meine Beweggründe könnt ihr in dem Artikel Meine 10 Gründe fürs Pilgern nachlesen. Außerdem kann kein Text dieser Welt wiedergeben, was ich erlebt habe. Ich hoffe, dass die Bilder wenigstens ein wenig die Idylle transportieren, durch die ich die meiste Zeit gewandert bin.

Ursprünglich wollte ich die einzelnen Tage und Etappen im Detail beschreiben. Nun habe ich mich dazu entschieden lediglich die Highlights und meine persönlichen Erkenntnisse festzuhalten. Wer sich für Infos rund um den Hildegard von Bingen Pilgerweg und eventuelle Vorbereitungen interessiert, der ist auf dem Blog Othershoes wunderbar bedient.

Vor allem möchte ich dazu Ermuntern alleine pilgern zu gehen. Gerade Frauen, denen vielleicht der nötige Mut fehlt, möchte ich motivieren, es zu probieren. Mir sind einige Frauen auf dem Weg begegnet, die mich bewundert haben. Mir war gar nicht bewusst, dass das so eine besondere Leistung ist. Ab dem ersten Schritt war es für mich normal und ich vergaß alle Bedenken, die ich im Vorhinein hatte. Angst hatte ich nie, obwohl ich sonst nicht immer die mutigste Person bin.

Dies sind meine wichtigsten Erkenntnisse, die ich auf dem Hildegard von Bingen Pilgerweg erlangt habe:

  • Ich bin nie allein.

Als mich mein Freund in Idar-Oberstein verlässt, finde ich mich einsam auf dem Bett in meiner Unterkunft wieder. Ich fühle mich in diesem Moment so hilflos und weiss zunächst gar nichts mit mir anzufangen. Tausende Gedanken gehen mir durch den Kopf und einer vorneweg: Was in Gottes Namen tu ich hier eigentlich? In mir keimen Zweifel auf und am liebsten würde ich alles verwerfen und wieder nach Hause fahren.

Mir wird bewusst, dass ich mich noch nie in so einer unvorhersehbaren Lage befunden habe, da ich das bisher immer erfolgreich vermeiden konnte. Da klingelt plötzlich mein Handy. Es ist mein langjähriger Freund Thomas. Wir telefonieren sonst nie. Und ausgerechnet jetzt ruft er an? Wir unterhalten uns und er findet mein Vorhaben genial, er ist sogar fast neidisch. Denn er wollte auch immer schonmal pilgern gehen. Das wusste ich nicht, obwohl wir uns über 25 Jahre kennen. Nach dem Gespräch bin ich ruhiger und merke, dass mir ein Freund geschickt wurde in einem wichtigen Moment. Das half mir voller Vertrauen und Zuversicht den Hildegard von Bingen Pilgerweg am nächsten Tag anzutreten.

  • Der Weg ist das Ziel…

… das sagt mein Kumpel Thomas zu mir am Telefon und ich verdrehe innerlich die Augen. Echt jetzt? Klischeehafter geht es wohl kaum. Aber ich werde eines Besseren belehrt. Denn im Laufe der kommenden Tage merke ich, dass es nicht darum geht anzukommen, sondern die Reise zu genießen. Es braucht ein paar Tage, aber dann stellt sich eine innere Entspannung ein. Weil ich lerne, dass keine Eile nötig ist. Alles zu seiner Zeit.

  • Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.

Vor der ersten Etappe bin ich enorm nervös. Im Vorfeld lese ich, dass der erste Abschnitt besonders schwer sein soll und es teilweise steile Abstiege gibt. Deshalb teile ich die erste Etappe mit einem zusätzlichen Zwischenstopp in Fischbach auf. Wie immer im Leben versuche ich mich bestens vorzubereiten. Doch das ist gar nicht nötig. Schnell stelle ich feste, dass ein Pärchen den Hildegard von Bingen Pilgerweg ebenfalls geht. Es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass ich nicht mutterseelenallein ist, denn auf der ganzen Strecke begegne ich nur sehr wenigen Menschen.

Am Ende war die erste Etappe weniger beschwerlich als befürchtet. Es gab zwar steile Abschnitte, aber mit Konzentration und Vorsicht sind diese zu meistern. Ich übe mich also darin, die Dinge zukünftig auf mich zukommen zu lassen, bevor ich mich schon im Vorhinein verrückt mache.

  • Ich kann alle Herausforderungen meistern, wenn ich nur will.

Die Betonung liegt auf dem ICH und dem WILL. Der zweite Tag verlangt mir einiges ab, ich bin langsamer und nicht gut in Form. Das liegt eventuell an dem Whiskey abends zuvor. Es war zu späterer Stunde noch sehr gesellig mit meiner neuen Bekanntschaft und dem Wirt. Jedenfalls merke ich, dass der Weg mir heute stark zusetzt. Es geht nur rauf und runter. Mehrere Male bete ich, dass sich die Wegführung bessert. Ich bin lustlos und unmotiviert. Keine gute Voraussetzung, stelle ich fest. Jeder Schritt wird irgendwann zur Qual. Ich warte immer noch auf das Hiking-High, einen Zustand der Flows, der sich beim Gehen nach einiger Zeit einstellen soll. Im Gegenteil: In mir herrscht ein regelrechter Kampf.

Später in der Unterkunft angekommen, bin ich erleichtert und verzweifelt zugleich. Nach einiger Zeit fange ich mich und erkunde meinen Ankunftsort. Herrstein ist mit seiner historischen Altstadt einer der schönsten Orte auf dem Hildegard von Bingen Pilgerweg. Abends reflektiere ich nochmal, was in mir vorgeht. Ich kann mich nicht ablenken, da das Internet kaum stabil vorhanden ist und auch sonst gibt es hier nichts zu tun. Also horche ich in mich hinein und finde einen emotionalen Cocktail aus Mutlosigkeit und Überforderung vor.

Meine Beine sind so schwer wie mein Gemüt. Mir fällt ein Zeitschriftenartikel in die Hände von einem Mann, der in Asien 1.400 km gepilgert ist. Er beschreibt ähnliche Widerstände und dass man irgendwann eine enorme Willensstärke entwickelt. Ich erinnere mich daran, dass ich das Pilgern wirklich will und jegliche Konsequenzen somit in Kauf nehme. Es scheint eine gewohnte Reaktion von mir zu sein, bei Schwierigkeiten Zweifel zu bekommen. Ich nehme mir vor, daraus zu lernen und ab jetzt einen starken Willen zu zeigen.

Dank eines Artikels von Eckhart Tolle, in dem er predigt, die Gegenwart anzunehmen, realisiere ich, dass ich mich in einem ständigen Widerstand mit den aktuellen Geschehnissen befinde. Meine neue Umgebung macht es mir leicht mich wohlzufühlen und ich gebe dem Tag noch eine Chance. Mit meiner Kamera wandere ich durch den stillen, bezaubernden Ort und ich fühle mich wie im Märchen. Eine Zeit lang setze ich mich an einen kleinen Bach und halte meine Füße zur Erfrischung ins angenehm kühle Wasser. Für den morgigen Tag nehme ich mir vor den Weg zu meinem Freund zu machen und hoffe, dass sich dadurch ein innerer Frieden einstellt.

  • Ich trage die Verantwortung für mein Leben und was darin passiert.

Voller Leichtigkeit trete ich also am nächsten Morgen den weiteren Weg an. Ich starte so früh wie möglich und genieße die beschauliche Morgenstimmung im Feld. Nur ich selbst bin dafür verantwortlich, wie ich mich fühle und welche Einstellung ich an den Tag lege. Meine Stimmung habe ich mir selbst zuzuschreiben. Also streife ich alle Zweifel ab und starte voller neuer Energie meine Wanderung.

Trotz der wahnsinnig hohen Temperaturen habe ich richtig Lust den weiteren Hildegard von Bingen Pilgerweg zu erkunden. Ich werde eins mit dem Weg und schaffe es immer mehr die Schönheit der mich umgebenden Natur wahrzunehmen. Der Weg von Herrstein nach Kirn entpuppt sich als meine Lieblings-Etappe. An diesem Tag begegnen mir ein Fuchs, ein Reh und ein Hase. Tiere in freier Wildbahn sehen zu dürfen, lässt mein Herz schneller schlagen. Ich genieße jeden Augenblick und nehme alles viel intensiver wahr als die Tage zuvor. Die weiten Aussichten über das freie Feld sind absolut herrlich. 

Jeder Tag ist ein Geschenk und bietet uns eine neue Chance. Ob wir sie nutzen und inwiefern, liegt in unserer Hand. Ein wenig klingt das nach einer großen Verantwortung. Für mich steckt dahinter die Freiheit, die richtigen Entscheidungen treffen, um im Leben zufrieden zu sein.

  • Ich lasse alle Erwartungen los, wie etwas sein soll.

Am nächsten Tag bin ich etwas enttäuscht, da die Etappe nicht durchweg reizvoll ist, wie die vorherige. Mir wird klar, dass ich nicht davon ausgehen darf, dass jeder Abschnitt gleich ist. Das Panorama in den Weinbergen ist allerdings traumhaft. Gut, dass ich ausreichend Getränke dabei habe. Ich komme nämlich bei den hohen Temperaturen physisch an meine Grenzen. In der Mittagshitze, nur in der prallen Sonne ohne Schatten zu gehen, ist eine große Herausforderung für mich.

Irgendwie schaffe ich es und falle in meiner Unterkunft nach einer überfälligen Dusche direkt ins Bett. Das möchte ich nicht wiederholen. Der Weg war relativ lang und durch die Hitze deutlich beschwerlicher. Ich verstehe, dass ich mich hier auf nichts einstellen kann. Es kommt, wie es kommt. Darauf habe ich keinen Einfluss. Ich habe nur meine innere Stärke, auf die ich vertrauen kann und den Glauben alles bewältigen zu können, was passiert.

Das Gasthaus Alt in Monzingen ist sehr empfehlenswert. Die Gastgeber sind extrem freundlich und zuvorkommend. Wie so oft auf meinem Weg war ich auch dort der einzige Gast und es wurde trotzdem an nichts gespart.

  • Ich habe mein eigenes Tempo, und das ist völlig ok.

Eine innere Gelassenheit tritt ein. Ich mache mehr Pausen und höre stärker auf meinen Körper. Wenn ich keine Lust mehr habe zu gehen, setze ich mich hin und warte bis sich meine Akkus wieder aufgeladen haben. Der Disibodenberg liegt heute auf meiner Tour. Ein mystischer Ort, auf dem unter anderem ein kleines Labyrinth mit einem Baum in der Mitte zu finden ist. Nach längerem Beobachten stelle ich fest, dass alle Wege letzten Endes zu dem Baum führen. Manche sind länger und verworren, manche kürzer und schneller. Ich verstehe, dass es ok ist, auch mal Umwege zu machen, um zu seinem Ziel zu kommen. Auf die Geschwindigkeit kommt es nicht an.

Da ich mich entscheide den Barfusspfad Bad Sobernheim für ein kleines Stück zu gehen, gerate ich an eine Stelle, an der ich wählen muss, durch einen Fluss zu gehen oder über eine Brücke. Ich nehme die Brücke und fühle mich wie ein Versager, der sich nicht traut. Daraufhin begegnet mir eine Frau, die ebenfalls die Brücke als Übergang nutzt und mir berichtet, dass ihr Mann bis zu den Hüften im Wasser gestanden hat. Meine Entscheidung war wohl nicht ängstlich, sondern einfach klug. Darüber freue ich mich.

Jedoch kommen immer wieder Momente der Lustlosigkeit. Wie gut, dass ich abends erneut meine Bekanntschaft vom ersten Tag treffe und wir den Abend gemeinsam ausklingen lassen. Ein wenig Gesellschaft bringt mich direkt auf andere Gedanken. Ein wenig ärgert es mich, dass ich nicht jeden Moment voll genießen kann. Sicherlich werde ich das später bereuen.

Meine Emotionen zuzulassen, fällt mir immer noch schwer. Das Wegdrängen bringt aber nichts. Also akzeptiere ich, dass ich nicht jeden Tag voller Freude aus dem Bett springen kann. Es kostet mich Überwindung weiterzugehen. Immer wieder frage ich nach dem Sinn des Ganzen. Eine Leichtigkeit will sich nicht dauerhaft einstellen, ich werde immer ungeduldiger. Doch der kritische Umgang mit mir selbst macht es mir nur noch schwerer. Der Druck kommt ganz allein von mir.

  • Ich bin frei und kann jeden Tag nach meinen Vorstellungen gestalten.

Ich trage immer noch eine Schwere mit mir herum, die nicht recht weggehen will. Vor dem schönen Örtchen Durchroth halte ich auf einmal inne. Mir wird bewusst, dass ich zu stark an Dingen festhalte und mich zu sehr von Kleinigkeiten beeinträchtigen lasse, die nicht so sind, wie ich sie gerne hätte. Und das wirkt sich negativ auf meine Laune aus.

Es herrschen sehr hohe Temperaturen und ich schaffe es deswegen nicht den restlichen Weg zu genießen. Trotz der wunderschönen, unberührten Natur und der angenehmen Stille. Nur weil es ein paar Grad zu warm sind, lass ich mir das ganze Erlebnis vermiesen? Das ist der Zeitpunkt, an dem ich merke, dass es so nicht weitergehen kann.

Oft trage ich eine latente Unzufriedenheit in mir, die schnell durch kleine Unstimmigkeiten ausgelöst wird. Mir kommt der Gedanke, dass ich lebe, als hätte ich ewig Zeit. Aber das stimmt nicht. Unsere Zeit ist begrenzt. Viel zu oft zögere ich, warte mit Entscheidungen und laufe mit einer inneren Zerrissenheit umher. Ich weiß nicht, wie oft ich auf dem Hildegard von Bingen Pilgerweg alles infrage gestellt habe.

In Oberhausen an der Nahe trage ich meine Gefühle in einem Pilgerbuch ein, was an der örtlichen Kirche zu finden ist. Das hilft mir beim Loslassen. Und ich fühle mich bestärkt, weil ich spüre, wie viele Menschen den Weg schon vor mir gegangen sind. Das berührt mich und ich fühle mich mit Ihnen auf eine wunderbare Weise verbunden, ohne sie zu kennen.

Danach gelange ich an die Luitpoldbrücke. Mir wird klar, dass dieses Motiv das Erste war, das mir damals auf Fotos begegnet ist. Das Panorama mit den Weinbergen im Hintergrund hat mich direkt fasziniert und ich wusste, dass ich bald an diesem Ort sein möchte. Nun war ich da und kann es kaum glauben.

  • Ich darf vertrauen, denn ich werde geführt.

Interessant ist, dass mir bei meinem heutigen Etappenziel gar nichts weh tut. Es ist als wäre ich auf einmal mit leichterem Gepäck unterwegs. Ich habe mir insgesamt mehr Zeit gelassen und mehr Pausen gegönnt. Außerdem mehr fotografiert. Die Pflanzenvielfalt ist traumhaft und bemerkenswert. Zudem nehme ich eine Abkürzung und verzichte auf Perfektion. Ich spare mir den erneuten Aufstieg in die Weinberge und gehe hinter Oberhausen einen kleinen Trampelpfad entlang der Nahe.

Im Gasthaus werde ich schon erwartet und herzlich empfangen. Der Felsenberghof in Schlossböckelheim ist meine liebste Unterkunft der ganzen Reise und uneingeschränkt empfehlenswert. Wir probieren fleißig die Weine aus eigenem Anbau und ich erhalte sogar eine kleine Führung vom Winzer persönlich. Die Familie Juchem führt das Gasthaus mit Leib und Seele.

Generell treffe ich hier auf sehr nette und hilfsbereite Menschen. Die meisten strahlen eine innere Zufriedenheit und Lebensfreude aus. Diese Natürlichkeit und Authentizität der Menschen dort finde ich erfrischend und inspirierend. An diesem Abend lerne ich im Gasthaus vier weitere Pilgerfrauen kennen. Direkt werde ich in die Gruppe integriert und darf der geselligen Runde beiwohnen. Dafür bin ich sehr dankbar, denn Gesellschaft tut mir gut. Schnell vergessen sind meine trüben Gedanken und Zweifel der letzten Tage.

Die Welt sieht halt am nächsten Morgen oft anders aus. Bei mir stellt sich ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit ein. Die vier gestandenen Frauen laden mich ein mit Ihnen weiterzugehen und ich freue mich sehr darüber. Mit einem leckeren Winzer-Sekt starten wir gelassen in den nächsten Tag. Ich gehe langsamer als die letzten Tage, aber das stört mich keineswegs. Eher tut es mir gut mich nicht zu stressen und ich genieße dabei mit Freude die intensiven Gespräche, als würden wir uns schon ewig kennen. Schnell stellt sich eine Vertrautheit ein. Dieser Tag wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Das Erleben des Weges in Gemeinschaft zeigt wieder andere Facetten auf. Ich werde eingeladen, den Tag gemeinsam ausklingen lassen, was ich liebend gerne annehme. Im privaten Garten einer der gastfreundlichen Pilgerfrauen, hängt ein „Carpe Diem“-Schriftzug an der Wand. Das inspiriert mich, wieder mehr nach diesem Prinzip zu leben. Dieser Tag war so voller positiver Überraschungen, mit denen ich noch vor knapp zwei Tagen nicht mal im Ansatz gerechnet hätte. Die gemeinsam verbrachte Zeit und der Austausch, waren für mich das schönste Geschenk auf meiner Reise.

Zu späterer Stunde verrät mir eine der Damen, dass sie meinen Eintrag im Pilgerbuch in Oberhausen gelesen haben. Sie freuen sich so, dass sie mich daraufhin treffen und kennenlernen durften. Was eine wunderbare Erfahrung, denke ich und bin sehr berührt. Wir werden sehen, ob sich unsere Wege nochmal kreuzen. Ich fühle mich jedenfalls mit ihnen verbunden, auch wenn wir uns vorerst aus den Augen verlieren. 

  • Ich lebe nach meinem eigenen Rhythmus und höre auf meine Bedürfnisse.

Am nächsten Tag bin ich beschwingter als sonst. Ich zehre noch von den letzten 24 Stunden und habe das Gefühl wieder mehr im Gleichgewicht zu sein. Eine Zeit allein zu sein ist gut, aber auf Dauer würde es mich nicht glücklich machen. Für mich ist es wichtig, immer wieder neue Menschen kennenzulernen und von inspirierenden Persönlichkeiten umgeben zu sein. Das macht das Leben spannender und interessanter. Man nimmt immer etwas aus den Begegnungen mit anderen mit. Erst recht, wenn man keine Erwartungen hat.

Es ist als hätte ich nie etwas anderes getan als zu gehen. Ich bin erstaunt, dass ich mich nun daran gewöhnt habe. Ich fühle mich die ganze Zeit geführt, als würde alles einem Plan folgen. Und doch bin ich frei und ungezwungen unterwegs. Ein interessantes Gefühl, was schwer in Worte zu fassen ist.

Mir fällt auf, dass ich kaum mehr an zuhause denke. Ich bin wohl endlich im gegenwärtigen Moment angekommen. Mir ist egal, welcher Tag und welche Zeit es ist. Alle meine Gewohnheiten sind aufgehoben. Ich esse, wenn ich hungrig bin und lebe mehr nach meiner inneren Uhr, so wie meinem eigenen Rhythmus. Es ist, als würde ich neue Regeln aufstellen bzw. einfach mal nicht nach irgendwelchem Regeln leben.

Mein Knie fängt im Laufe des Tages an zu schmerzen. Ohne groß darüber nachzudenken oder mich zu ärgern, beschließe ich abends den kommenden Tag nicht zu gehen. Meine fürsorglichen Gastgeber der Pension Resch in Spabrücken, fahren mich also nach Bingen, wo ich das Museum am Strom besichtige. Die Tatsache, dass es an dem Tag nur regnet, bestärkt mich in meiner Entscheidung. Ich habe keinen Grund mehr in Eile zu sein oder irgendwo ankommen zu müssen und fühle mich nicht schlecht, weil ich die Etappe nicht gehen konnte.

Es ist eine neue Erfahrung für mich den Tag nach meinem Befinden auszurichten. Zuhause geht das vermutlich auch, nur dass ich mich durch fremde oder selbst auferlegte Pflichten oft davon ablenken lasse. Ich nehme mir vor, wieder stärker Rücksicht auf meine Bedürfnisse zu nehmen und nichts durchziehen zu müssen, wenn mir nicht danach ist.

Loslassen und vertrauen

Der letzte Tag ist für mich sehr emotional und ich fühle eine große Dankbarkeit für alles, was ich erlebt habe. Durch meine anhaltenden Knieprobleme nehme ich in Rüdesheim die Gondel und wandere dann den Rheinsteig entlang zur St. Hildegard Abtei. Am Ziel, dem Kloster Eibingen anzukommen, ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so stolz auf mich war. Die Zeit ging einerseits total schnell um und andererseits waren die Tage so intensiv und ich habe so viel erlebt, dass es eigentlich für mehrere Monate reicht. Besonders genieße ich auf dem Hildegard von Bingen Pilgerweg das Gefühl über den Dingen zu stehen. Durch die Steigungen und Anhöhen sind die Blicke oft unendlich weit, was ich zuhause am Niederrhein vermisse.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich die Reise und der Weg ein Stück näher zu mir selbst gebracht haben. Das hört sich zwar wie eine Floskel an, aber es ist genauso. Ich bin beim Pilgern und die ersten Tage danach wesentlich emotionaler also sonst. Schnell kommen mir die Tränen. Es ist, als hätte ich keine Wahl, als hätte ich eine Haut abgelegt oder einen alten Mantel, der mir nicht mehr passt.

Und ich habe mir eine neue Haut zugelegt – die ist wesentlich schöner und bunter. Manchmal muss man halt loslassen und das habe ich auf dem Weg definitiv getan. Etwas Altes lasse ich hinter mir und etwas Neues nehme ich mit in mein zukünftiges Leben. Ich bin sehr gespannt, welche Auswirkungen meine Reise auf die bevorstehende Zeit hat. Ein wenig erinnert mich dieses Gefühl an meine Erfahrung beim Basenfasten auf Sylt.

Es stehen wichtige Entscheidungen an und ich versuche noch nicht weiter darüber nachzudenken. Das Vertrauen, das ich auf dem Hildegard von Bingen Pilgerweg mitbekommen habe, möchte ich auch weiterhin in mir tragen. Zu wissen, dass ich stets geführt bin, dabei nie allein und immer voller Vertrauen in meine Fähigkeiten.

Das Leben will erlebt werden.

Beim Pilgern habe ich definitiv viel intensiver gelebt als zuhause. Es gibt so vieles zu entdecken auf dieser Welt und wir sollten unseren Tag nicht lediglich mit Dingen füllen, um die Zeit rumzubekommen. Im Alltag gestaltet sich das oft schwer, aber ein Versuch ist es Wert.

Ich bin mir sicher, dass das ein oder andere Wunder auf dem Weg passiert ist. Und ich glaube weniger an Zufälle als vorher. Es fühlte sich stets an, als wäre ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Durch das Wandern in der reizvollen Umgebung des Nahetals sowie die teilweise ursprünglichen Dörfer, wurde ein wenig die Zeit angehalten. Es gab dort keine Eile und keine Hektik, was sich nach ein paar Tagen auch auf mein Inneres übertragen hat und mir einen gewissen Frieden beschert.

Der Weg hat mir neues Selbstvertrauen geschenkt und ich möchte andere inspirieren, auch eine ähnliche Pilgerreise anzutreten. Ich hoffe, dass ich damit zeigen kann, dass allein pilgern auf dem Hildegard von Bingen Pilgerweg wunderbar funktioniert und ein ganz besonderes Erlebnis darstellt. 😇

LogoHildegard von Bingen Pilgerwanderweg Die Naheland-Touristik bietet einige organisierte Angebote an, den Hildegard von Bingen Pilgerweg zu erkunden: https://www.naheland.net/de/erleben/wandern/hildegard-von-bingen-pilgerwanderweg/index.html

Weitere Informationen und die genauen Strecken-Angaben gibt es über Outdooractive: https://regio.outdooractive.com/oar-hildegardweg-naheland/de/


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